Den Verfasser kennen wir nicht. Manche Forscher halten einen gebildeten Kleriker aus dem Passauer Raum für wahrscheinlich. Aber Genaues weiß man nicht. Auch nicht über die Entstehungszeit vielleicht irgendwann um 1200. Wann die eigentliche Geschichte spielt? In grauer wie viele meinen barbarischer Vorzeit. Übrigens: Wir reden über das Nibelungenlied. In manchen Epochen hochgelobt (z.B. im 19. Jahrhundert/ Befreiungskriege ...) oder gar schwer missbraucht (Nazi-Zeit/ die deutschen Recken ziehen gegen die Hunnen im Osten ...) oder "ideologie-kritisch" abgebügelt (sogn. "kritische Germanistik" der 60er/70er Jahre ...), aber insgesamt kaum verstanden, kaum einmal vorurteilsfrei gelesen.
Gerade dies jedoch versucht ein Deutsch-Grundkurs der Jahrgangsstufe 12, angestoßen durch die Nibelungen-Feiern in Worms mit "großem Theater" vor dem Dom (Neufassung der Nibelungen von Moritz Rinke) und durch eine aktuelle Nibelungen-Aufführung kaum einen Steinwurf von unserer Schule entfernt in den "Naxos-Hallen" (Hebbels "Nibelungen II/Die Rache"). Ersteres wurde in einer Video-Aufzeichnung analysiert, Letzteres live mit verfolgt und dies war für uns eine wahrliche "Werksbegehung".
"Werksbegehung" in einem doppelten Sinne: Zunächst wurde Hebbels Werk aus dem Jahre 1861 in zeitgenössischer Manier präsentiert, zudem "beging" man Station für Station das "Naxos-Werk": Die einzelnen Akte spielten in verschiedenen Werksteilen der Fabrik, das Publikum wurde zur nächsten Spielszenen immer tiefer in die labyrinthischen Grüfte das ruinösen Industriebaus geführt, ja gelockt.
Schon der Name "Naxos" ist Programm: Naxos die schönste der Kykladen-Inseln - von Persern erobert, Zankapfel zwischen Athen und Sparta, zwischen Ägypten, Rom und Venedig ein Ort der Gewalt. Zudem ist die Insel eng mit dem Labyrinthischen verbunden, sie ist nämlich mit dem Ariadne-Mythos verknüpft - Ariadne, die im Labyrinth des Monsters einen Faden zum Ausgang spinnt, flüchtet nach der Rettung des Theseus mit diesem von Kreta auf die Kykladeninsel.
Haupteffekt des Naxos-Spielortes ist aber selbstverständlich die dauernde Analogie zwischen dem Nibelungengeschehen und dem Weg in der Fabrik. So zieht z.B. das Publikum in den Ostteil des Werkes in Etzels Reich, das ja auch im Osten liegt; der finale barbarische Kampf in des Hunnenkönigs brennender Halle findet schließlich in einer riesigen, stahlarmierten, aber desolaten Werkshalle statt ("ground zero" für die Wormser gewissermaßen), bezugnehmende zu der berühmt-berüchtigten Rede Görings, der die im Todeskampf stehenden Burgunden mit der in Stalingrad eingekesselten deutschen Armee verglich. So wurde eindringlich die Aktualität des Textes deutlich: die ewig-gegenwärtige Gier nach Macht, das Ränkespiel, Seilschaften, tödliche Intrigen, Leidenschaft und Tod im 20. Jahrhundert, dem blutigsten der Weltgeschichte, ständig präsent.
Zudem spielte ein Schüler unseres Kurses (Claudio Ebel) im Stück bravourös mit ein "Heimspiel" also, das alle beigeisterte.
Krönender Abschluss wird sicher eine Exkursion nach Worms sein, wo sich das gerade neu eröffnete Nibelungen-Museum besichtigen lässt und selbstverständliche weitere "Original-Schauplätze" - wie der großartige romanische Dom - zu erleben sind. Wie beginnt doch die erste Strophe des Textes: "Uns ist in alten maeren wunders viel geseit ..."
Dr. Gustav Schmiz