von Anuscha Dillmann (13)
Nun liest Frankfurt noch immer ein Buch und das Heinrich-von-Gagern-Gymnasium geht in diesem Rahmen am 3. Mai 2010 bereits in die zweite Runde.
Am 28.04. hatte das Gymnasium seine Premiere anlässlich der vom Schöffling-Verlag initiierten Eventreihe zu Ehren der Neuauflage von Valentin Sengers Buch „Kaiserhofstraße 12“ und bereicherte das Publikum um eine Filmerfahrung, inklusive anregender Diskussion am Ende, an der sich sogar der Regieassistent des Fernsehspiels, Werner Dauth, höchstpersönlich beteiligt hatte.
Die zweite Veranstaltung, gleich der ersten von Oberschülern mit der Hilfe Susanne Battenbergs und Hermann Hennes organisiert, legt den Schwerpunkt auf das Leben Valentin Sengers. Zu Gast ist sein Stiefsohn Rüdiger Kreuter, der seiner gespannt lauschenden Zuhörerschaft, sowie den glänzenden Moderatoren Olga Galicka und Frederik Winter in seiner authentischen Art und Weise Rede und Antwort steht.
Den Auftakt der Veranstaltung bildet allerdings nicht der Ehrengast, sondern ein Besuch im schuleigenen „Luftschutzbunker“:
Die verantwortlichen Schülerinnen und Schüler haben im Vorfeld mit Hilfe einer kreativen Marketing-Kampagne auf den 03.Mai aufmerksam gemacht. Am Veranstaltungstag konnte diese Arbeit nun ein letztes Mal bewundert werden.
Durch das gesamte Schulgebäude hallt das Hörspiel von „Kaiserhofstraße 12“, das bereits einige Tage zuvor zweimal täglich auf HR2- Kultur zu hören war, und weckt bereits beim Betreten des Foyers die Neugier der Besucher. Der Weg führte nun in den Keller der Schule und zu der ersten Station des Abends: In einem der Räume befindet sich eine Leinwand auf der Ausschnitte von Frankfurt unter den verheerenden Bombenangriffen während des zweiten Weltkrieges zu sehen sind. Darüber gelegt wieder die Tonspur des Hörspiels. Die vollkommene Dunkelheit, das schaurige Ertönen des Bombenalarms, sowie der Qualm einer Nebelmaschine sorgen wahrlich für „Bomben“-Stimmung.
Zum Hauptteil des Abends wird in die Aula gebeten, wo zur Einleitung der Thematik einige Schüler der 13. Klasse (zum Teil Mitorganisatoren) ihre Lesefähigkeit anhand kurzer Ausschnitte des Werks Valentin Sengers gekonnt und bewegend zum Besten geben. Nach einer kurzen Erklärung seitens der Moderation, warum gerade jene Stellen ausgewählt wurden- kein ausschließlicher Schwerpunkt auf die wundersame Überlebensgeschichte einer jüdischen Familie, sondern auch die persönlichen Schwierigkeiten Sengers als pubertierender Jüngling in einer für ihn endlos barrikadierten Welt der Geheimniskrämerei sollen beleuchtet werden- wird Rüdiger Kreuter auf die Bühne gebeten, und das Gespräch beginnt unmittelbar.
Charakteristisch für Kreuters Auftritt sind die Worte „Das kann ich nicht sagen, darüber wurde nicht gesprochen“. Sie zeigen deutlich die Problematik mit der Valentin Senger nicht nur zu Zeiten des Krieges, sondern auch danach zu kämpfen hatte, und die daraus resultierenden Auswirkungen auf sein Leben, auf das seiner Familie. Das Buch sei das Ergebnis einer jahrelangen, durch professionelle Hilfe begleiteten Psychoanalyse gewesen; notwendig deshalb, weil Senger viel zu schlucken hatte. Erst durfte er nicht reden, nicht auffallen, nicht entlarvt werden- später konnte er es nicht mehr, sprach selten über die Vergangenheit, legte oft ein unterwürfiges Verhalten an den Tag und ließ ungern seine innersten Gefühle von anderen entlarven- Kreuter habe sehr wohl nachgefragt, nicht zuletzt weil er viele wichtige Informationen lediglich aus zweiter Hand erfahren hatte, und war bei seinem Vater häufig auf Widerstand gestoßen. Ein „Nein“ habe er stets akzeptiert.
Valentin Senger hatte es als Kommunist auch nach dem Krieg mit Verurteilung und Benachteiligung zu tun, wie ein Bespiel Kreuters auf schockierende Weise deutlich macht: Dieser besuchte in jungen Jahren die Freiherr-vom-Stein Schule in Frankfurt, bis Senger eines Tages persönlich darum gebeten wurde, seinen Sohn von der Schule zu nehmen- er tat es, laut Kreuter habe „er sich mal wieder nicht gewehrt“.
Kommunist zu sein, brachte Valentin Senger auch 15 Jahre nach Kriegsende noch Nachteile: Seine Einbürgerung in der Bundesrepublik wurde abgelehnt – er hatte immer einen Fremdenpass -, und sogar Rüdigers jüngeren Schwestern wurde die deutsche Staatsangehörigkeit verwehrt.
Rüdiger Kreuter vermittelt den Zuhörern noch eine ganz andere Problematik, die oftmals in den Hintergrund rückt: Seine Tante Paula habe es zeit ihres Lebens nicht übers Herz gebracht, eine Bindung mit einem Mann einzugehen, aufgrund einer natürlichen Angst, nicht wissen zu können, in welcher Position er in der Nazizeit gewesen sei.
Dies alles sei jedoch, so muss Rüdiger Kreuter oft auf gestellte Frage antworten, kein Thema in der Familie gewesen. Die Familie sei viel gewandert, habe auch ansonsten viel unternommen, Senger sei im öffentlichen Leben sogar ein sehr lebensfroher Mensch gewesen, habe sich beispielsweise sehr über den Erfolg seines Buches gefreut. Er schien folglich trotz allem in der Lage gewesen zu sein, Gefühle auszudrücken, obgleich eine Seite von ihm vermutlich bis zu seinem Tod kämpfen musste.
Rüdiger Kreuters ehrliche und sympathische Erzählweise schafft es ebenso ein Gefühl auszudrücken - ein Gefühl vom Leben mit einem Überlebenden als Vater, einem Kommunisten als Vater, einem teilweise Verstummten als Vater.
Zum Abschluss liest Rüdiger Kreuter höchstpersönlich den Schluss des Werkes „Kaiserhostraße 12“ und findet somit zu einem harmonischen Ende des Abends, einem sehr gelungenen Abend, dank des Gastes und dank der engagierten Schülerschaft, dank des interessierten Publikums und dank des erneut anwesenden, zeitweise herrlich kritischen Regieassistenten Werner Dauth.
Zu guter Letzt, dank an Zeppelinwurst und Käs’ Petri, bereits zum zweiten Mal infolge sorgten diese Leckereien für einen hohen Genussfaktor in der ehrwürdigen Aula des Heinrich-von-Gagern Gymnasiums.
P.S. Und dank an Susanne Battenberg und Hermann Henne und an alle Schülerinnen und Schüler, die -trotz Abi-Vorbereitungen und Korrekturen - der Schulgemeinde diesen Einblick in die Arbeit und in das Leben Valentin Sengers ermöglicht haben und in eine Zeit, die viel Mut erforderte.