Heinrich-von-Gagern-Gymnasium Frankfurt am Main

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Atropa – Über das unabwendbare Schicksal

Text:
Antigone Akgün
Fotos:
Johanna Schiele
Andreas Weschke
Jian Wiederhold
Letzte Änderung:
16.12.2011
Verantwortliche/r:
Roswitha Winter-Stein

Atropa – Über das unabwendbare Schicksal

Wenn Sie, verehrte Leserinnen und Leser, mir berichten müssten, was Sie mit den alten Griechen verbinden, so würden Sie – das möchte ich doch hoffen – im antiken Griechenland eine Hochkultur erkennen. Eine Zeit des Umbruchs, in welcher der Mensch verschiedene Betätigungsfelder entdeckte, um seine Seele, sein Gemüt, seinen Verstand und auch seinen Körper zu erfreuen und zu fördern. Ein Zeitalter, in welchem es üblich war, sich in Epidaurus der kathartischen Wirkung des Theaters hinzugeben, auf der Agora kleine philosophische „Spielchen“ mit Sokrates zu betreiben und sich in Agonen als tugendhafter, begabter Teil einer fortschrittlichen und sonderbaren Gesellschaft zu erweisen.
Nun! Da man bekanntlich immer dann aufhören sollte zu schwärmen, wenn es am schönsten ist, möchte ich an dieser Stelle mit Ihnen in ein dunkles Kapitel der alten Griechen eintauchen: In den trojanischen Krieg.
Ein blutiges Weltspektakel zwischen Griechen und Trojanern, das die Griechen für sich bestritten und das Troja in die komplette Zerstörung führte, demonstriert uns, dass auch die Hellenen ihre Konflikte nicht immer mit weisen, platonischen Ratschlägen zu lösen vermochten. Wo Probleme aufkamen, floss gewöhnlicherweise auch Blut. Und meistens war es gerade das Blut unschuldiger Menschen.
...Als die schöne Helena ihren ganz ordentlichen Ehegatten – Menelaos – auf der Peloponnes zurücklässt, um dem schönen Jüngling Pares zu folgen, ahnt sie wohl kaum, mit welch einem Unheil sie die Menschheit bedecken wird.
Ihretwegen fließt viel Blut. Ihretwegen brennt Troja. Ihretwegen die vielen Freveltaten an trojanischen Frauen. Ihretwegen die ganzen toten Soldaten an der Küste Trojas. Ihretwegen die zahlreichen Morde an unschuldigen Kindern. Wegen ihrer Schönheit.
Wegen ihres wundersamen Antlitzes. Wegen ihrer wohlgeformten Gestalt.

Am schlimmsten trifft der Raub Helenas jedoch ihren Schwager Agamemnon und dessen Familie: Als Befehlshaber der Griechen ist er gezwungen, auf den Sieg der Hellenen in Sparta hinzuarbeiten. Er muss seine Tochter, Iphigenie, opfern, um die Gunst der Götter zu erlangen und den Krieg für sich zu bestreiten. Er muss als Trojazerstörer in Erscheinung treten, Trojanerinnen in seine Gefangenschaft nehmen und sie quälen.
Als Familienoberhaupt und Vater brennt in ihm jedoch die Liebe zu seiner Frau, Klytämnestra, und zu seiner Tochter. Er ist das eigentliche Opfer des Krieges. Er steht zwischen den Stühlen. Er liebt und hasst. Er quält und wird gequält. Human und skrupellos zugleich. Empathiefähig und rachsüchtig. Verletzend und verletzt. Gelobt und verachtet. Während er seine Tochter zum Opferaltar bringt, führt er seine eigene Seele ins Unglück. Während Iphigenie quälende Schmerzen erfährt, droht sein Herz an seinem Wehmut zu zerbrechen.

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Agamemnon steckt in einem unabwendbaren Dilemma. Wie soll er die Herrschaft der Hellenen verteidigen, wie soll er als erfolgreicher Stratege in Erscheinung treten und dabei zugleich versuchen, die Zahl der Opfer, die Zahl der Qualen nicht ausarten zu lassen?
Agamemnon – ein Mensch, der seinem grausamen Schicksal nicht entgehen kann. Am Ende des Krieges verachten ihn nicht nur Helena und die Trojanerinnen für das Übel, das er Troja angetan hat. Nein! Verachtung erfährt er auch durch seine Gattin, der er ihr geliebtes Kind für einen militärischen Erfolg genommen hat. Wie auch immer er sich verhalten mag, sein Schicksal meint es nicht gut mit ihm. Er verliert alles, was ihm je etwas bedeutet hat, steht alleine da, verbleibt verlassen mit seinem Schmerz zurück. Denn viele Sachen mögen unabwendbar sein, doch nichts ist so unabwendbar wie das Schicksal, welches jeden Menschen – auch gegen seinen Willen – ein Leben lang verfolgt.
Nun, liebe Leserinnen und Leser! Die Gräueltaten des trojanischen Krieges lösen freilich eine tiefe Bestürzung in uns aus. Doch so sehr wir uns auch mit dem Krieg, mit den Wehklagen Klytämnestras, mit den Schmerzen der trojanischen Gefangenen, mit der Schuld Helenas auseinandersetzen mögen, ein wahrer Einblick in die Seelen dieser mythischen Figuren bleibt uns leider verwehrt, da sie nicht real, nicht greifbar und auch nicht nah bei uns sind. Ihr Fatum erscheint uns wie eine traurige Erzählung, eine kleine Geschichte, die unterrichtet, aufklärt und bewegt.
Wie sonderbar ist es also, dass wir die einmalige Gelegenheit hatten, Agamemnon, Klytämnestra, Iphigenie und all die Teilnehmer des trojanischen Krieges aus nächster Nähe zu beobachten, ihr Schicksal nachzuvollziehen, ihre ausweglose, unabwendbare Lage zu begreifen!
Nein, nein – ich scherze nicht.

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Letzte Woche durften wir in den Genuss von „Atropa – Die Rache des Friedens“ kommen – einem Stück von Tom Lanoye, das von der Theater-AG unserer Schule, unter der Leitung von
Hans-Martin Scholder und Bea Blell, aufgeführt wurde.
„Atropa“ behandelt die oben beschriebene Problematik des trojanischen Krieges und seiner Opfer und orientiert sich vor allem an Tragödien der griechischen Tragödiendichter Aischylos und Euripides.
Schwerpunkt in „Atropa“ ist jedoch nicht das schwierige Schicksal Agamemnons. Stattdessen konzentriert sich Lanoye auf die griechischen und trojanischen Frauen: Unabhängig von ihrer Position in der Gesellschaft und ihrer Zugehörigkeit verbindet sie ihr grausames Fatum, das sie ständig mit Tod, Vergeltung, Rache und Hass umgibt, sodass ihnen als einziger Ausgang der Freitod bleibt.
Auch versucht Lanoye durch die Kriegskritik in seinem Stück, seinem Unmut über zeitgenössische Kriege in Vietnam, Afghanistan und im Irak freien Lauf zu lassen.
Zuletzt sollten wir es keineswegs versäumen, ein gewaltiges Lob auszusprechen: Wie zu erwarten, zeichnete sich „Atropa“ durch ein außergewöhnliches, modernes Bühnenbild aus, das der Handlung unglaubliche Authentizität verleihen konnte. Letztlich waren es jedoch die hervorragenden, schauspielerischen Leistungen der partizipierenden Schülerinnen und Schüler, welche „Atropa“ zu einem unvergesslichen Erlebnis in unserer Schulgeschichte gemacht haben, an das wir uns noch lange mit heiterem Gemüt zurückerinnern werden.

Und natürlich hoffen wir auf viele weitere sonderbare Inszenierungen in der Zukunft!
...Wenn Sie mir nun berichten müssten, was Sie mit den alten Griechen verbinden, so würden Sie mir entgegnen, dass auch diese glanzvolle Hochkultur dunkle, schattige Momente besaß.

Aber jetzt einmal ehrlich: Eigentlich hat Agamemnon doch richtig gehandelt. Denn wäre ihm der strategisch geschickte Sieg über Troja nicht geglückt – wer weiß, wie heute unser Kosmos dann ausschauen würde...

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