Heinrich-von-Gagern-Gymnasium Frankfurt am Main

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Literaturabend mit Thomas Hettche

Text:
Julia Kruse (Q1)
Fotos:
H.-G. Ortmanns
Letzte Änderung:
23.11.2018
Verantwortliche/r:
Heinz-Georg Ortmanns

Literaturabend mit Thomas Hettche

Thomas Hettche - Autorenlesung und Gespräch

von Julia Kruse


Am 15. November 2018 hatten alle Q-Phasen-Schüler/-innen die tolle Möglichkeit, mehr
über einen noch lebenden Schriftsteller zu erfahren, als es der schulische Lehrplan zulässt.
Die Aula war bis auf den letzten Platz besetzt. Wie es unser Schulleiter Herr Dr. Köhler in
seinem Grußwort formulierte, werden Werke heutzutage im Unterricht leider häufig nur
theoretisch behandelt. Viel zu selten gäbe es die Möglichkeit, beim Lesen entstehende
literaturwissenschaftliche Fragen zu klären, die nur der Autor, der in den meisten Fällen
nicht mehr lebt, beantworten kann.
Prof. Dr. Hettche, ein zahlreich ausgezeichneter deutscher Schriftsteller (u.a. zweifacher
Gewinner des Deutschen Buchpreises), kam um 19:30 Uhr in die Aula unseres Gymnasiums
und las Passagen aus seinem Buch „Die Liebe der Väter“ sowie aus dem Essay-Band
„Totenberg“. Vierzehn Q1-Schüler der „Hettche-AG“ hatten sich mehrere Wochen lang in
Begleitung ihrer Deutschlehrer, Frau Hauk und Herrn Matzker, mit beiden Werken
beschäftigt und Fragen herausgesucht, um sie dann dem Autor in der Lesung zu stellen. Sie
waren bereits anlässlich der Verleihung des „Hermann-Hesse-Preises“ an ihn in Karlsruhe
dabei.
Nach den vorgelesenen Passagen stellten die Schüler/-innen ihre Fragen, die nicht nur das
Publikum, sondern auch Thomas Hettche zum Nachdenken brachten. Zwei von ihnen
sprachen mich persönlich besonders an.
Yasmine Li (Q1) fragte, warum er in seinem Buch komplizierte Wörter wie „invers“ oder
„temporäre Aureolen“ verwendete, die man erst nachschlagen müsse um sie zu verstehen.
Darauf antwortete er zunächst, dass der Ich-Erzähler Buchhandlungsvertreter sei und
deswegen einen ausgeprägten Wortschatz habe. Auf die Nachfrage, was der Ausdruck
„temporäre Aureolen“ nun bedeute, konnte er witzigerweise nicht antworten: Er wusste es
selbst nicht mehr. Zur Rechtfertigung erläuterte er, dass es ihm beim Einsetzen solcher
komplizierten Ausdrücke nicht um den tatsächlichen Sinn ginge, sondern um den reinen
Klang. Wahrscheinlich habe er die eigentliche Bedeutung auch deswegen wieder vergessen.
Er erklärte, dass man sich als Autor manchmal in Wörter verliebe und sie einfach einbringen
müsse.
Eine weitere interessante Frage war auch die von Christoph Scholz (Q1): „Im Roman
erscheint das Zitat `Gewalt ist die Realität von Hass´. Als Peter, der Vater, seiner Tochter eine
Ohrfeige gibt, hat er sie in dem Moment gehasst?“ Für die meisten Eltern ist die Antwort
klar: „Natürlich nicht“. Thomas Hettche antwortete ähnlich: Er glaube nicht, dass der Vater
seine Tochter hasst, sondern dass er verzweifelt war. Für mich als Minderjährige war diese
Antwort nicht eindeutig. Der Schriftsteller gab nach einer kurzen Pause zu, dass sich der
Roman also an dieser Stelle widerspreche.
Für mich ist das Spannende an beiden Fragen, dass man sie vom Buch ablösen und ins
Allgemeine übertragen kann. Denn: Erstens gibt der Autor in seinem Roman den
verwendeten Wörtern oft einen anderen Sinn, als es ihrem reinen Wortsinn entspricht, und
zweitens dürfen Bücher in sich Widersprüche tragen, ohne sinnlos zu sein.
Nach dieser Fragerunde las Thomas Hettche aus seinem Werk „Totenberg“, in dem er über
humanistische Bildungsideale und seinen ersten Kontakt mit Büchern berichtet. Er erzählte,
wie ihm seine Deutschlehrerin die Literatur nahebrachte und wie sehr er sich gewünscht
hätte, bereits als Kind mehr an die Literatur herangeführt worden zu sein. In der Fragerunde
wird deutlich, dass sich sein Leseverständnis mit der Zeit verändert hat. Heute sieht er das
Lesen als „die Erfahrung eines Geschenkes, das uns die Literatur macht“. Er ist der Meinung,
dass die Leser sich nicht nur oberflächlich um die Bücher bemühen, sondern tiefer gucken
sollten, um das Geheimnisvolle darin zu entdecken. Daniel Schicks Frage, ob ein Buch erst
dann gut sei, wenn es anspruchsvoll sei, verneinte er. Es gäbe keine Rangliste, jeder Text sei
auf seine Weise toll. Der Leser müsse sich nur bemühen, auch das Komische in ihm zu
erkennen.
Ohne die Deutschlehrerin hätte sich der Autor wahrscheinlich erst viel später mit Literatur
beschäftigt und Bücher geliebt. Ludwig Höfle fragte, ob es nötig sei, dass eine Lehrkraft „das
Fenster zur Literatur“ öffnet. Thomas Hettche erwiderte, das System Schule an sich könne
dies nicht bewältigen, weil es das Ergreifende nicht vermitteln könnte. Ihm wäre es am
liebsten, wenn es keine Büchervorgabe durch den Lehrplan gäbe, sondern wenn die
Lehrkräfte von sich aus die Entscheidung treffen dürften, welches interessante Buch sie den
Schülern nahelegen möchten, denn der Lehrplan könne keine Begeisterung vermitteln. Der
Abend verlief sehr aufschlussreich und alle Beteiligten, auch die Fragenden, bekamen viel
Applaus.
Julia Kruse (Q1)

Dr. Köhler begrüßt den Autor und das Publikum
Freuden eines Deutschlehrers
Frau Hauk mit ihrer Gruppe
Autorenlesung und -gespräch
Engagierter und konzentrierter Gesprächspartner
Autorenlesung und -gespräch
Autorenlesung und -gespräch
Autorenlesung und -gespräch
Thomas Hettche bei einer der Leseproben
Autorenlesung und -gespräch
Sichtlich angetan von den jungen Lesern: Thomas Hettche
Daniel Schick (Q1) fragt ...
... der Autor antwortet
  

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